Aktuell Gemeindeleben

Wir sind Familie

Vater, Mutter und Kind – das war einmal. Auch gleichgeschlechtliche Paare wünschen sich Kinder. Die Formen des Zusammenlebens sind vielfältiger geworden. Mittlerweile ergänzen Patchwork-, Mehrgenerationen- und Regenbogenfamilien die klassische Familie. Gemeinsam ist ihnen jedoch allen, dass die Familienmitglieder nach Verlässlichkeit suchen und füreinander Sorge tragen wollen. Grafik: Nordbild

Die evangelische Kirche weitet den Familienbegriff

Viele Kirchengemeinden haben heutzutage eines, Unternehmen ohnehin, Kitas und Schulen oft auch: ein Leitbild. Darin werden die für sinnvoll, hilfreich und gut befundenen Zielperspektiven skizziert, an denen sich das Leben oder Arbeiten orientieren sollen. „Ehe und Familie“ waren seit langem das evangelisch propagierte „Leitbild“ für das Zusammenleben der Menschen.

Aus guten Gründen: Es verträgt sich nicht mit der evangelischen Anthropologie, dass der Mensch sich als Einzelkämpfer versteht. Menschsein, das heißt aus evangelischer Sicht: in Beziehung zu sein, sich umeinander zu sorgen, füreinander da zu sein, das Leben miteinander zu durchwandern und zu feiern. Ob biologisch oder sozial begründet: Das partnerschaftliche und familiäre Zusammenleben sind das Umfeld und Erprobungsfeld für dieses Sein in Beziehung, wie es im Alten und Neuen Testament immer wieder beschrieben wird.

Mit der neuen Orientierungshilfe wählt die Evangelische Kirche in Deutschland eine neue Perspektive auf das partnerschaftliche und familiale Leben: Sie erklärt nicht mehr nur ganz bestimmte Formen dieses Zusammenlebens zum evangelischen Leitbild. „Leitend“ für dieses Zusammenleben sollen vielmehr Kriterien wie Verlässlichkeit, Verantwortlichkeit und Fürsorge sein. Diese Kriterien lassen sich nicht nur in der Ehe und der Vater-Mutter-Kind-Familie finden, sondern auch bei Alleinerziehenden mit ihren Kindern, in Regenbogen- und Patchwork-Familien oder bei Menschen ohne Kinder, die Verantwortung für Verwandte übernehmen. Dieses gelingende Gestalten von Familie will die evangelische Kirche unterstützen. Darum sollten sozialpolitische und gemeindepraktische Überlegungen einen Schwerpunkt in der Orientierungshilfe bilden.

Mit dieser Weitung der Perspektive auf gelingendes Familienleben in unterschiedlichen Formen erfolgt nicht, wie viele Kritiker missdeuten, automatisch eine Abwertung der vermeintlich klassischen Ehe und bürgerlichen Familie. Denn von den genannten Kriterien ausgehend lässt sich sehr wohl begründen, warum manche Formen aus evangelischer Sicht mehr oder weniger favorisiert werden können: Die Ehe oder die eingetragene Partnerschaft eröffnen besonders gute Rahmenbedingungen für die genannte Gestaltung des Zusammenlebens, im Besonderen auch für das familiale Leben. Dies gilt z.B. in rechtlicher Hinsicht, insofern die Verantwortung öffentlich und langfristig übernommen wird. Dies gilt aber aus theologischer und kirchlicher Perspektive: Das Familienleben bei der Taufe oder die Partnerschaft unter den Segen Gottes zu stellen, gibt den Beziehungen einen neuen stärkenden, in der Verbindung verbindlichen Rahmen. Es gibt Treue und Vertrauen, Sorge und Verlässlichkeit mit Gott einen tragenden Grund.

Umgekehrt kann der Ansatz bei den genannten Kriterien auch aufzeigen, wo bestimmte Formen des partnerschaftlichen und familiären Zusammenlebens eben nicht mehr tragfähig sind und wo sie sich vom Leitbild entfernen: Eine Familie, die von außen betrachtet mit „Vater-Mutter, Kind“ der bürgerlichen Idealform entspricht, aber etwa von Gewalt geprägt ist, kann und darf kaum ein evangelisches „Leitbild“ sein.

Stand also in der früheren Unterstützung von Ehe und Familie deren spezifische Gestalt im Vordergrund, von der man auf bestimmte Gestaltung schloss, so hat sich die Perspektive nun gedreht: Der Blick richtet sich zunächst auf die Gestaltung, von der aus bestimmte Gestalten begründet und besonders gewürdigt werden können. Was die aktuelle Kritik spiegelt: Ein Leitbild, das eine feste, eindeutige Gestalt, wie die bürgerliche Familie aus Vater, Mutter und Kind, beschrieben hat, ließ sich offensichtlich leichter vermitteln, als die Orientierung an Kriterien, die nicht so leicht bildlich nachzuvollziehen sind. Die Orientierung an Kriterien wie Verlässlichkeit, Fürsorge und Verantwortung, die auch biblisch als Elemente des familiären und partnerschaftlichen Lebens begründet sind, fordert ein Mehr an Überlegung. Sie bleibt tatsächlich im ersten Schritt vager, aber damit sensibler und unvoreingenommener den Menschen in ihren familiären Lebenssituationen gegenüber. Sie urteilt nicht anhand der von außen schnell beschreibbaren Gestalt, sondern schaut näher hin, wie die Gestaltung dieser Beziehungen gelingt. Zahlreiche positive, oft weniger laute Rückmeldungen von Menschen, die in der Diakonie, in Familienberatungen oder Gemeinden arbeiten, zeigen, dass dieser Ansatz dort für sehr hilfreich erachtet wird.

Bequemer macht es sich die evangelische Kirche damit sicher nicht, was als Subbotschaft im Vorwurf der Anpassung an den Zeitgeist so oft mitschwingt. Bequemer wäre die Beibehaltung der „guten alten“ bürgerlichen Bilder von Ehe und Familie als einzige Ideale gewesen, auch wenn sich dies theologisch nur schwer hätte halten lassen. Es fordert nun mehr Kreativität und Überlegungen, das kirchliche Leben so zu gestalten, dass Familien in ihrer Vielfalt in den Blick kommen und als verlässliche Gemeinschaft unterstützt werden.

Dr. Stefanie Schardien, Professorin für Systematische Theologie und Ökumene an der Universität Hildesheim.
Ralf Meister, Landesbischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
Foto: Jens Schulze

Die hannoversche Landeskirche stellt Landesbischof Meister zufolge eingetragene Lebenspartnerschaften genauso unter „Gottes Wort und Segen“ wie die Ehen zwischen Mann und Frau. In den zentralen Elementen wie einem gegenseitigen Treueversprechen oder dem Ringwechsel unterschieden sie sich nicht von einer Trauung. „Wenn der Bundestag die Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften öffnet, werden wir die Bezeichnung des Segnungsgottesdienstes anpassen, denn nach evangelischem Verständnis segnet die Kirche eine staatliche vollzogene Trauung.“

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung ist Mitautor der EKD-Orientierungshilfe zu Ehe und Familie. Bild: epd-Bild

Und was sagt die Bibel dazu? http://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/frontnews/2013/08/08/08_1

Zu welchem Ergebnis ist der Theologe Jung gekommen? 
Jung: Es gibt Bibelstellen, die Homosexualität verurteilen. Wir haben aber gelernt, dass im Jahr 2013 Homosexualität anders zu sehen ist. Für uns heute ist Homosexualität weder Krankheit noch Sünde, sondern eine unveränderbare Veranlagung. Mit diesem Wissen müssen wir entsprechende Bibelstellen kritisch unter die Lupe nehmen und neu bewerten. Man muss etwa fragen, ob Homosexualität in den Zusammenhang der Schöpfung gehört. Ich sehe das zum Beispiel so. Solche Fragen sind die eigentliche theologische Herausforderung. Sie müssen im intensiven Gespräch geklärt werden.

SEGNUNG FÜR GLEICHGESCHLECHTLICHE PAARE

Auf der Synode im November 2014 berichtete Landesbischof Ralf Meister über die Fertigstellung einer Handreichung für Gottesdienste zur Segnung eingetragener Lebenspartnerschaften. Segnungsgottesdienste sind damit ausdrücklich möglich und lösen die vorherigen „Fürbittgottesdienste” ab. Pastoren/-innen dürfen sich aus Gewissensgründen weigern, eine solche Segnung vorzunehmen.

Download als pdf: Handreichung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zum Download (pdf)

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